"Die Welt von etoy - eine Firmen-Skulptur aus Norm-Containern" von Michel Zai/etoy

Publiziert im Buch "Das Motiv der Kästchenwahl - Container in Psychoanalyse, Kunst, Kultur" herausgegeben von Insa Härtel und Olaf Knellessen erschienen bei Vandenhoeck & Ruprecht 2012


etoy.CORPORATION, eine als Schweizer Aktiengesellschaft registrierte Kunstgruppe, verwendet seit 1994 international normierte (physische, virtuelle, juristische und technische) Behälter zur Konstruktion einer globalen Firmen-Skulptur. Diese "Corporate Sculpture" dient keinem anderen Zweck als der Kunst - d.h. der Reflexion der zeitgenössischen Kultur und der kritischen Interaktion mit ihr.

Datencontainer

Ganz am Anfang stand bei etoy die systematische Verwendung von Internetdatenpaketen. Die elementaren Bausteine des weltumspannenden Computernetzwerkes ersetzten im Fall von etoy traditionelles künstlerisches Material wie Pigment, Leinwand, Metall oder Stein. Die einheitlich verpackten digitalen Daten waren aber immer mehr als nur das wichtigste Ausdrucksmittel: Die siebenköpfige Gründercrew diskutierte, skizzierte, modellierte, evaluierte, überarbeitete, kommunizierte, promotete, distribuierte und archivierte seit 1995 alle relevanten Ideen und Werke im Internet-Container-Format (TCP/IP = Transmission Control Protocol/Internet Proto- col). Das Internet dient etoy nicht nur als Medium und Werk>zeug, es steht für Sehnsucht und Aufbruch, für schnelle, prag- matische und sehr billige Kommunikation genauso wie für zahllose halsbrecherische soziale Experimente und für einen hohen Grad an Unabhängigkeit.

1995 hat etoy das Internet zur neuen Heimat erklärt – zur Parallel- und Gegenwelt, in der praktisch unlimitiert produziert, kopiert, ausgestellt und gelagert werden kann. Mit dem Slogan "leaving reality behind ..." verabschiedete sich die Kunstgruppe vorerst einmal plakativ von allem Irdischen und zelebrierte die digitale Existenzform. In dieser virtuellen Realität wird alles mit Hilfe von uniformen Datencontainern organisiert: Der gesamte etoy.INHALT – jedes Bild, jeder Ton und alle Textfragmente – wird kodiert, zerstückelt, normgerecht verpackt, verwaltet und natürlich weltweit kos- tenfrei abrufbar gemacht. Der mit dem Aufkommen dieser Technologie verbundene ästhetische, kulturelle und soziale Paradigmawechsel war extrem, zu dieser Zeit für die meisten Mitmenschen aber noch nicht nachvollziehbar. Die Pionierzeit des Internets war eine aufregende und von gesellschaftlichen Visionen geprägte Phase. Viele Beteiligte träumten vom freien Zugang zu Informationen aller Art, von einer Vernetzung der Kulturen, Institutionen und Klassen und vor allem von der Überwindung der Monopolstellung der kapitalintensiven und meinungsmachenden Massenmedien.

Human-Container

etoy wählte bewusst eine Gegenästhetik zur dominanten und sehr amerikanisch geprägten Netzkultur der frühen 1990er Jahre. Während sich die meisten Internetpioniere (Freaks und Cyber-Heads genauso wie kommerziell orientierte Exponenten oder militärische und akademische Computerforscher) gern befreit von allen Konventionen und Business-Dresscodes gaben, griff die Gruppe etoy das Prinzip der Corporate Identity auf und begann es überspitzt zu praktizieren. Die Webadresse www.etoy.com gehörte weltweit zu den ersten Dotcom-Markenzeichen im Kunstsegment. Von Marshall McLuhans grundlegender Aussage "The media is the message" herausgefordert, folgte die etoy.CREW auch optisch dem Normierungsprinzip des Internets und verwandelte sich in eine unüberschaubare Gruppe uniformierter austauschbarer Agenten. Einheitliche schwarze Overalls, darunter weiße Hemden und schwarze Krawatten, orange Straßenarbeiterjacken, verspiegelte Sonnenbrillen und rasierte Köpfe dienten in den folgenden drei Jahren dem Prinzip der visuellen Vereinheitlichung.

Der etoy.AGENT wurde zum menschlichen Datenpaket: the coder is the architect is the designer is the lawyer is the singer is the artist is the system is etoy. Die Inszenierung des Künstlers als technokratischer Normcontainer war für manche Leute eine inakzeptable Provokation und führte immer wieder zu aggressiven Unterstellungen. Einige Kritiker in dieser Zeit spekulierten sogar mit Nazitheorien, obwohl die Gruppe Wert darauf legte, sich in Texten und Werken klar gegen politische Ideologien und diskriminierende Ideen abzugrenzen.

Das Prinzip der äußerlichen Uniformierung erzeugte Aufmerksamkeit und passte konzeptionell sehr gut zu den anderen technischen und inhaltlichen Bausteinen von etoy. Es diente vor allem der überspitzten Thematisierung der Normierung der Welt und der augenfälligen Trends der Globalisierung, in welcher Austauschbarkeit eine Grundbedingung für Erfolg geworden ist. Der spielerische (und mit dem Gruppennamen etoy auch deutlich unterstrichene) selbstironische Umgang mit Identität, Realität, Medialität, schriller Sichtbarkeit und Künstlichkeit wurde allerdings nicht von allen Beobachtern der Szene verstanden. Für etoy ging es um eine Kunstperformance, um Science-Fiction und die comicartige Überspitzung von dem, was auf der Welt passiert.

Juristische Container

Ende 1997 hat der Internethype die westliche Welt voll erfasst und die Pionierzeit ging über in die Zero-Gravity- respektive Dotcom-Economy. etoy beschloss, einen Teil der Crew ins Zentrum der Spekulationsblase zu entsenden. Vier europäische etoy.AGENTEN waren zur Expedition bereit und wanderten 1997/1998 nach Kalifornien aus. In Los Angeles, San Diego und vor allem in San Francisco konnten sie hautnah miterleben, wie die übersteigerten Erwartungen des Marktes zu milliardenschweren Investitionen führten und diese Goldgräberstimmung die Menschen in einen Rausch versetzten. Es war schnell klar: etoy musste zur Kunst-Ak- tiengesellschaft werden und dieses Phänomen spiegeln, visu- alisieren, verkörpern – d. h. zur Kunst erklären. So begann sich die Gruppe darauf vorzubereiten, einen Teil der Orga- nisationsstruktur als Aktiengesellschaft zu führen. Die Idee, Kunstaktien auszugeben war nicht neu – Marcel Duchamp spielte bereits 1924 im Rahmen des Werks "Obligations pour la roulette de Monte Carlo" mit fiktiven Finanzdokumenten und David Bowie ging 1997 wirklich an die Börse – aber im Fall von etoy doch sehr angebracht: Nicht die Originalität dieser Firmenform, sondern gerade der juristisch geregelte, weltweit bekannte Status der Aktiengesellschaft (shareholder company) war ausschlaggebend für die weitere Entwicklung der "Corporate Sculpture". Zuerst ebenfalls als spielerische und undurchsichtige Off-Shore-Firma inszeniert, zeigte sich bald, dass sich etoy.CORPORATION als AG nur durch rigo- rose, d.h. überprüfbare Echtheit und Transparenz von den Fake-Firma-Projekten abgrenzen kann, welche die Kunst- und Netzszene seit Duchamp immer wieder hervorbrachte. Die Aktiengesellschaft als Normcontainer musste real implementiert und in radikaler Form ins Zentrum der Kunst von etoy gerückt werden. Echte (juristisch bindende) Aktien mussten das einzige erwerbbare Kunstprodukt von etoy sein. Wer Kunst von etoy besitzen will, muss sich seither am ganzen System beteiligen, anstatt ein isoliertes und physisch limitiertes Original zu kaufen.

Nach einer langen Vorbereitungsphase und etlichen juristischen Einwänden durch die zuständigen Behörden wurde etoy.CORPORATION SA im Jahr 2006 im Handelsregister des Kantons Zug in der Schweiz eingetragen. Die größte Schwierigkeit (neben dem Aufbringen des Grundkapitals von 100.000 Schweizer Franken) war die Überzeugung der Registrierungsstelle, welche anfangs den Firmenzweck "etoy. CORPORATION ist Kunst und investiert in Kunst. Die Gesellschaft bildet den Kern und Code der Firmenskulptur (corporate sculpture) ..." nicht anerkennen wollte. Erst nach intensivem Austausch mit dem etoy.ANWALT konnte die Eintragung durchgesetzt werden, da die gewählte Formulierung exakt dem entspricht, was die Firma beabsichtigt, und der Umstand, dass keine andere Gesellschaft einen ähnlichen Zweck angibt, kein Grund für eine Verweigerung der offiziellen Registrierung sein kann.

Im Gegensatz zur Organisationsform war die juristische Manifestation der etoy.IDENTITÄT, die etoy.HANDELS- MARKE (TRADEMARK) leichter zu rechtfertigen. US- Amerikanische Markenrechte hat etoy bereits 1997 beantragt. Sie wurden aufgrund von üblichen Wartezeiten für internationale Anträge jedoch erst im Jahr 2001 offiziell gutgeheißen und eingetragen. Die Europäischen Markenrechte wurden durch Schwierigkeiten in der Schweiz lange verschleppt: In der Schweiz existiert ein Dorf mit dem Namen Etoy. Zudem mussten rechtliche Ansprüche eines ehemaligen Mitglieds der Gruppe etoy von einem Wiener Gericht widerlegt werden.

In den Jahren 1999 bis 2001 kam es zudem zum Marken- und Domainnamen-Konflikt mit der Amerikanischen Firma eToys Inc., welche in den Boomjahren zum größten Online- Händler für Spielwaren wurde und einen Spitzenmarktwert von rund 10 Milliarden US-Dollar erreichte. Der Kampf um die Rechte an der etoy.IDENTITÄT ging als "TOYWAR" in die Geschichte ein und ist heute Teil von Lehrbüchern. Über 400 internationale Medien haben berichtet (von der "New York Times" und CNN, über "Art in America" bis zum "Wall- street Journal"). Die Gruppe etoy hat sehr hohe finanzielle Angebote der Gegenpartei genau deshalb abgelehnt, weil die Verteidigung und Bewahrung des abstrakten Identitätscontainers (HANDELSMARKE) im Fall von etoy viel wichtiger ist als die Identität der einzelnen Agenten. Inzwischen sind die Rechte an der Wortmarke etoy geklärt und befinden sich alle in der Hand der Kunstgruppe etoy.

Die Aktiengesellschaft etoy.CORPORATION SA gehört heute rund 300 eingetragenen Aktionären. Ein Großteil der Anteile befinden sich im Besitz der etoy.AGENTEN, welche mit Aktien für ihre Arbeit belohnt werden. Knapp ein Drittel der 640.000 Aktien wurde zwischen 1998 und 2012 an Gönner und einige Kunstsammler verkauft, um die Projekte von etoy zu finanzieren. Zum Zeitpunkt der Publikation dieses Beitrags befinden sich noch mehr als 100.000 Aktieneinheiten in der Hand der etoy.VENTURE association. Dieser im Handelsregister des Kantons Zürich eingetragene Verein verkauft weiter Anteile der Firma zur Finanzierung von etoy-Projekten.

Harte Container

Nachdem etoy in den ersten Jahren (1994–1997) fast ausschließlich virtuell präsent war und alle Produktionen mit wenig physischem Aufwand auf Rechnersystemen an Universitäten in Wien und Zürich umsetzen konnte, befand sich die nunmehr nur noch sechsköpfige Gruppe Ende 1997 an einem Wendepunkt. Die Computerlabs der Universitäten, aber auch großzügige Arbeitgeber und befreundete Organisationen machten nach dem ersten Erfolg (die Produktion digital hijack gewann im Jahr 1996 u.a. den ersten Preis des Ars Electronica Festivals in Linz) allmählich klar, dass es für etoy an der Zeit wäre, eigene Studios und Geräte zu betrei- ben. Auf der Suche nach einer mobilen und künstlerisch passenden Lösung stießen etoy.AGENTEN auf die Welt der Frachtcontainer und waren sofort fasziniert: Die normierten Transportkisten bieten nicht nur eine akzeptable Raumgröße (ein 40-Fuß-High-Cube-Container ist 12,192 Meter lang, 2,43 Meter breit und 2,98 Meter hoch), sondern stellen in der Realität der harten Objekte auch genau das dar, was etoy bis anhin mit Software in der Welt des Internets ausgelotet und zelebriert hatte: das weltweite beschleunigte Versenden und Empfangen von einheitlichen und durchnummerierten Paketen, welche mit Inhalt jeglicher Art gefüllt werden können. Im Jahr 1998 kam so als logischer Schritt und als offensichtliche Steigerung das physische Pendant zum Internetdatenpaket, eben der Intermodal-Container, als fassbarer logistischer, architektonischer und skulpturaler Baustein zum etoy. UNIVERSUM hinzu. Mit einem ersten 40-Fuß-Container trat etoy noch während des großen Internethypes die Rückreise aus der digitalen Sphäre an und landete auf dem harten Boden der Tatsachen.

Der Frachtcontainer hat allerdings noch viel mehr ausgelöst als nur logistische und infrastrukturelle Vorteile oder kon- zeptionelle Spielereien. Mit der Anlieferung der ersten vier Tonnen schweren Stahlbox auf dem Campus der Universität von San Diego (UCSD) in La Jolla/Kalifornien begann für einen Teil des Gründerteams eine ganz neue Form der künstlerischen Arbeit: Handwerkliche Fertigkeiten mussten erlernt und angewendet werden, um den Standardcontainer zu modifizieren. Als Gastforscher am Center for Research in Computing and the Arts (CRCA) hatten vier etoy.AGENTEN uneingeschränkten Zugang zu den Einrichtungen und dem Knowhow der UCSD. Während vier Monaten wurde geplant, gefräst, geschweißt, verdrahtet, isoliert, gekittet, lackiert, verlegt und verschraubt. etoy gehörte damals zu den ersten Künstlergruppen, die Gelegenheit hatten, als geografisch verteiltes Planungs- und Produktionsteam über Kontinente und Zeitzonen hinweg per Internet Breitbandleitung zusammenzuarbeiten, indem sie eine stehende Bild- und Tonverbindung zwischen dem Studio an der Universität in San Diego und dem Arbeitsplatz des etoy.ARCHITEKTEN an der Technischen Hochschule (ETH) in Zürich nutzen konnten.

Heute, im Jahr 2012, besitzt etoy ein kleine Flotte von sechs Containern. Sie kommen in unterschiedlichen Konfigurationen weltweit zum Einsatz: als Büro-, Atelier-, Werkstatt- und Show-Module sind die sog. etoy.TANKS immer dort, wo die etoy.CREW sie braucht. Einzelne Einheiten werden für Ausstellungen und Festivals aus dem Hauptquartier in Zürich ausgekoppelt und verschifft. Andere Container sind per Definition permanent unterwegs. So z. B. der Mission Eternity Sarcophagus, welcher 2006 als kontroverses Anti-Monument und Mortal-Remains-Storage (Lager für sterbliche Überreste) in Betrieb genommen wurde.

Memory Container

Mission Eternity ist ein "digitaler Totenkult" für das Informationszeitalter. Menschen in allen Kulturen müssen leblose Körper entsorgen, die Trauer um ihre Toten in gewisser Weise zelebrieren und teilen und gleichzeitig die Herausforderung von Vergessen und Erinnern meistern. Das Projekt beschäftigt sich mit den veränderten Rahmenbedingungen in einer von Datenspeicherung und Transfer besessenen Zivilisation. Bestehende architektonische Formen, Rituale und Religionen aus der vorindustriellen und industriellen Epoche erscheinen zunehmend unbefriedigend, wenn es darum geht, dem Tod heute "ins Auge zu blicken".

Mit der Hilfe von tausenden Mission Eternity Angels, welche ein Computerprogramm auf ihren Rechner herunterladen und ausführen, versucht die Künstlergruppe etoy die Daten von ausgewählten Piloten zu sammeln und für immer zu speichern – weltweit verteilt und für alle User jederzeit abrufbar. Die Piloten überqueren die "letzte Grenze", um zusammen mit etoy das Totenreich, die virtuellste aller Welten, zu erforschen.

Der Mission Eternity Sarcophagus ist ein modifizierter 20-Fuß- Fracht-Container, ausgerüstet mit 17.000 Leuchtdioden, welcher die Informationssphäre der verstorbenen Piloten widerspiegelt und diese so quasi wiederbelebt. Die vernetzte und interaktive Skulptur dient als technologische Brücke, die menschliche Erinnerungen (hier verstanden als elektrische Impulse, gespeichert in Gehirnen, in Netzwerken und auf Datenträgern aus unterschiedlichen Materialien) mit den sterblichen Überresten von Piloten verbindet. Die virtuellen und die physischen Spuren bilden eine fragile Verbindung und definieren einen Raum für die Begegnung der Lebenden und der Toten. Der Sarcophagus reist als Teil der weltweiten Cargo-Logistik durch den geografischen Raum wie die Internetdatenpakete (TCP/IP) durch das globale Informationsnetzwerk.

etoy erforscht mit Mission Eternity die Erweiterung des künstlerischen Porträts und hinterfragt den Umgang der menschlichen Zivilisation mit Erinnerung (Erhaltung/Verlust), Zeit (Zukunft/Gegenwart/Vergangenheit) und Tod.

Bisher arbeitet die Gruppe etoy mit zwei Testpiloten: Sepp Keiser aus Zug wurde 1924 geboren und gilt als Pionier der Mikrofilmtechnologie. Zusammen mit etoy.AGENTEN erprobt er seit 2005 künstlerische Verfahren zur Erfassung seines digitalen Porträts (Arcanum Capsule).

Am 26. Mai 2007 hat etoy die sterblichen Überreste von Timothy Leary in den Multi-User-Sarkophag überführt. Leary, eine Schlüsselfigur der Informationsgesellschaft, experimentierte mit der Erweiterung des menschlichen Geistes unter Nutzung von LSD und dokumentierte seinen eigenen Tod 1996 als eine letzte aufregende Reise. Leary hinterließ etoy eine Unmenge an Aufzeichnungen zu seinem Leben, seinem Körper und seinen Gedanken. Arcanum Capsules enthalten die Stimme der Toten, Elektrokardiogramme, Statistiken, ASCII-Text und visuelle Daten aus Regierungsdatenbanken, Familienalben und Online-Quellen.

Normbehälter

Bei allen Arbeiten von etoy seit 1994 geht es in erster Linie um das langfristige Erzeugen, Reflektieren und Vermitteln von Grenzerfahrungen im Feld der gestalterischen, ökonomischen, juristischen, politischen, medialen, logistischen und technischen Wirklichkeit unserer Zeit – d. h. um die Produktion von adäquater Kultur.

Hierbei liegt für etoy die Herausforderung im bewussten Bewohnen, Wahrnehmen und Verarbeiten von normierten Lebensräumen. etoy.CORPORATION ist auf der schwierigen Suche nach einer handlungsfähigen und kritischen Position des Künstlers (bzw. der Gruppe) als integrierter und damit mitverantwortlicher Akteur in einem von multinationalen Firmen dominierten ultravernetzten Weltgeschehen.

Im künstlerischen Fokus der Gruppe etoy stehen also nicht natürliche, wilde oder ideale Landschaften, individuelle Gesichter oder Geschichten von Menschen. Auch geht es nicht um die ketzerische Verteufelung der "Anderen", um das "böse System" oder die zynische Abbildung der Menschheit, wie es viele immer wieder glauben. etoy ist vielmehr auf der spielerischen, aber auch oft "brutalen" Suche nach Möglichkeiten. (Selbst-)Ironie und Übertreibung sind dabei Ausdrucksmittel. Der Kern und die vielen Fakten im Spiel bleiben jedoch sehr ernsthaft und grundlegend. Normcontainer aller Art bilden unwiderlegbar die Grundlage des Lebens und Handelns im 21. Jahrhundert. Der immens hohe Vernetzungsgrad aller denkbaren Aspekte unserer Existenz schreit täglich nach technischen und organisatorischen Optimierungsleistungen im Bereich der Kompatibilität. Effizienter Austausch, vor allem in industriellen, wirtschaftlichen und technischen, aber auch in wissenschaftlichen, juristischen oder gesellschaftspolitischen Zusammenhängen erfordert ein Maximum an Anschlussfähigkeit und Übereinkunft. Uniformität ist eine logische Folge solcher Bestrebungen. Der Preis für möglichst störungsfreie Verbindungen ist eine Vereinheitlichung im Sinn einer Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zur erfolgrei- chen Koppelung von Prozessen aller Art.

Abschließend lässt sich festhalten: Normierte Behälter sind die Grundpfeiler der Globalisierung, welche den Planet Erde in den letzten zwanzig Jahren zweifellos in jeder Hinsicht geprägt haben. Auf der physischen Seite ist der Intermodal- Container als Frachtbox inzwischen für gut 90 Prozent der beförderten Güter zuständig. Die Folgen der kostenoptimierten und beschleunigten Warentransporte sind vielfältig: Von der Verlagerung von Produktionsstandorten über die permanente Verfügbarkeit von Produkten (z. B. Nahrungsmittel) aus geografisch entfernten Gebieten reicht die Spannweite bis zur großräumigen Verbreitung von Viren und Schädlingen. Im Positiven wie im Negativen und auch aus allen denkbaren Perspektiven sind die Auswirkungen der weltumspannenden Containerlogistik markant. Im Informationsraum haben sich vergleichbar standardisierte Internetdatenpakete ebenso deutlich durchgesetzt und unsere Kommunikationsmuster mit beispielloser Heftigkeit und in nicht gekannter Geschwindigkeit verändert. Und als dominante juristische Organisations- und Macht-Container treten die Aktiengesellschaften immer deutlicher in Erscheinung. Die Auswirkungen all dieser Normen und ihr komplexes Zusammenspiel reichen also weit über die direkt beteiligten Expertengruppen hinaus und schaffen Fakten für uns alle. Kunst muss auf diese veränderten Lebensbedingungen reagieren und sie in "Werken" manifestieren.